
(Teil 1)
… lautet eine Formel, die zurückgeht auf den römischen Dichter Plautus (ca. 254-184 v. Chr.). Besondere Beachtung finden sollten – in Abgrenzung zum hinlänglich bekannten ersten Teil dieser desillusionierenden Aussage – die letzten vier Worte: „… wenn man sich nicht kennt.“ Denn: wenn man sich nicht kennt, erscheint das Unbekannte stets als das Bedrohliche, vielleicht ein Atavismus aus archaischer Zeit, als der Fremde nicht als potentieller Freund und Helfer, sondern zunächst als unliebsamer Konkurrent um die überlebenswichtigen Nahrungsquellen wahrgenommen wurde.
Der Fremde bleibt so lange ein Fremder, bis er zum Bekannten wird, bis die Bedrohung dem Verständnis weicht und die Erkenntnis, daß ein friedvolles Miteinander befruchtender und gewinnbringender ist als gegenseitiges Belauern in Argwohn, sich erhebt über die Aufrechterhaltung liebgewonnener Vorurteile.
Der Fremde ist immer der Andere und damit derjenige, der uns erst den Blick auf das Selbst ermöglicht. Ohne die Abgrenzung vom Anderen kann das Eine nicht existieren. In einer Zeit, in der soziale Unsicherheit und die daraus folgende Angst tief in das Leben des Einzelnen eingreifen und in der, mit dem Ende des Kalten Krieges und damit auch der Behaglichkeit eines klaren Feindbildes und der daraus resultierenden Gewißheit, selbst immer auf der „guten“ Seite zu stehen und auf diesem „Gut-Sein“ ein Selbstbild herauszubilden, in dieser Zeit gewinnt der Fremde auf ungeahnte Weise an neuer Bedeutung, stehen die Worte des Dichters in altem Licht und warnender Wichtigkeit.
Die Deutschen sind einander eine Gesellschaft von Fremden – nicht geworden, sondern immer gewesen. Die Einheit eines Volkes, das niemals ein einiges war, sondern immer ein loser Bund verschiedener Stämme, deren einzige (und auch nur bedingte) Gemeinsamkeit die Sprache darstellte, konstituierte sich stets gegen einen Feind, sei es Napoléon Bonaparte, dessen Fremdherrschaft die Deutschen zu einigem Kampf herausforderte oder die Juden, auf deren Rücken ab dem 19. Jahrhundert der Nationalstaatsgedanke bis hin in die Gaskammern von Auschwitz verwirklicht werden sollte.
Das Problem hierbei liegt nicht allein darin, daß „der Andere“ in seinem Anderssein seiner tatsächlichen (und gar nicht so grundsätzlich unterschiedlichen) Eigenschaften beraubt wurde, sondern vielmehr darin, daß er – um dem benötigten Feindbild gerecht zu werden, mit „neuen“, diesem vermeintlich bedrohlichen „Anderen“ entsprechenden Eigenschaften ausgestattet wurde.
Dadurch wurde ein „Anderer“ geschaffen, der sich in den Augen der Mehrheit für ein „Anderssein“ zu rechtfertigen hat, das ihm selbst ebenso fremd ist wie jenen, die es konstatieren. Der „Feind im Auge des Feindes“ wird zum eigenen Feind, weil dem Träger der feindlichen Eigenschaften verwehrt wird, sich gegen eben diese Eigenschaften zu Wehr zu setzen. Die Anschuldigungen und Verdächtigungen sind haltlos, gegründet auf einer diffusen Angst und potenziert durch gruppendynamische Prozesse, denn wenn „alle so denken“, kann nicht das Denken, sondern muß „der Andere“ falsch sein.
Es ist unnötig, zu erwähnen, daß – selbstverständlich noch immer vorhandener – Antisemitismus seit der Shoah nicht mehr „gesellschaftsfähig“ ist und sogar, bezogen auf das eigene Gewissen, ein beinahe absolutes Tabu darstellt und sich nicht selten über eine überzogene Hinwendung zum Judentum und insbesondere zu Israel ausdrückt, seit Heinrich von Treitschke als „Philosemitismus“ bezeichnet. Die Struktur der Ausgrenzung indes hat überlebt und wendet sich gegen neue Opfer in einer Gesellschaft, die im Angesicht welt- und finanzpolitischer Umbrüche mehr und mehr erschüttert wird. Das Klima wird rauher, aber in keinem Land trägt der Haß ähnlich grausame Blüten wie in Deutschland.
Seit der „Wiedervereinigung“ beider deutscher Staaten (die niemals einer waren und sich von daher auch niemals „wiedervereinigen“ konnten) nimmt der Prozeß des „Zusammenwachsens“ zuweilen skurrile Züge an: Besser-Wessis und Jammer-Ossis ziehen nur an einem Strang, wenn es gegen Dritte geht – von „gemeinsamer“ Identität keine Spur, aber ein rasanter Anstieg fremdenfeindlich motivierter Gewalttaten.
Der 11. September 2001 bot unverhofften Anlaß, wenn nicht sogar eine perfide Art von Rechtfertigung, muslimische Bürger/Innen – als die vollkommen anderen – noch weiter an den Rand der Gesellschaft zu drängen, denn der von George W. Bush erklärte „Krieg gegen den Terror“ war nichts anderes als ein „heiliger Krieg“ der mittlerweile maroden westlichen Gesellschaft, die ihren Reichtum und ihre „faktische“ Überlegenheit auf der Ausbeutung, Unterdrückung und Einmischung in die politischen Angelegenheiten jener Staaten gründet, die heute als „Keimzellen“ des Terrors angesehen werden. Terror ist niemals religiös, Terror ist nicht einmal politisch. Terror ist Ausdruck tiefster Verzweiflung, vergleichbar mit Partisanenkämpfen in besetzten Ländern. Terror setzt ein, wenn die Politik versagt.
Terror schafft ein Klima der Angst und je weniger der Terror, dessen Grausamkeit nicht allein im Blutzoll, sondern vielmehr darin besteht, daß er sich jederzeit und an jedem Ort ereignen kann, greifbar und absehbar wird, um so mehr muß ein greifbarer und ansehbarer Repräsentant an die Stelle des unsichtbaren Terroristen treten: der Islam, denn die Mörder waren Muslime…
Es wird nicht mehr differenziert. Vielmehr wird der „Antiislamismus“ auf vermeintlich wissenschaftliche Grundlagen gestellt: die Religiosität der Attentäter von New York, Washington, D.C., London, Bali und Madrid wird als „Beweis“ geführt dafür, daß der Muslim per se zu Gewalt neigt, um seine vermeintliche Vormachtstellung auszudehnen wie weiland die Kreuzritter, die gegen die – in ihren Augen – Ungläubigen zogen, um die heilige Stadt zu befreien. Kaum ein „Stammtischbruder“, der den Koranvers, der das Töten „Ungläubiger“ angeblich gutheißen soll, nicht kennt. Kaum ein „Stammtischbruder“, der um die Lebenswirklichkeit muslimischer Menschen in Deutschland weiß.
Ein Wolf ist der Mensch dem Menschen, nicht ein Mensch, wenn man sich nicht kennt. Islamische Gemeinden haben diese Gefahr lange erkannt und laden ein zu Tagen offener Türen, die ein wenig Verständnis schaffen könnten und dennoch nur von einem Bruchteil nichtmuslimischer Bürger/Innen genutzt werden.
14 Kommentare
nochmals an die Redaktion: Ich habe Frau Schuricht eine sachlich im Duktus verfasste Antwort geschrieben. Schauen Sie sich die Antwort an mich „Maria statt Scharia“ doch einmal genau an. an. Das ist wahrhaft unsachlich. Ich habe mich im philosophisch-ethischen Bereich, siehe Emmanuelle Levinas geäußert und Frau Schuricht hat nichts anderes armseliges zu antworten, als einen NPD-Wahlspruch zu zitieren. Entweder kennt sie sich weder in Philosophie noch in Literatur aus, was bei ihrer Unkenntnis Boualem Sansals zu befürchten ist. Wer diesen großartigen Algerier, der vor kurzer Zeit den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, als islamophob bezeichnet, und mich als Literaturwissenschaftlerin gleich obendrauf noch mit, weil ich um die Ängste der Migranten vor ihrer eigenen Unterdrückung in ihren Heimatländern und auch hier im Gastland weiß, ist im eigentlichen Sinne eng, eingeengt, und hat etwas zu verbergen. Nina
Zum Diskurs auf DIB, schalten wir Ihr Kommentar unzensiert frei. D.Red.
Zensur Kein Bezug zum Artikel!
Liebe Frau Nina!
Sie haben gesehen, dass wir an anderer Stelle Ihre Kommentare genehmigt haben. Nochmals unsere bitte. Gehen Sie bitte sachlich auf den Inhalt des Artikels ein. Haben Sie bitte Verständnis dafür, wenn wir auf bestimmte Empfindlichkeiten achten, was Religionen angeht. Zumal wir Juden, Christen und Muslime unter den Autorinnen und Autoren haben. Von daher ist Ihre Kritik unberechtigt.
D.Red.
Zensur – Bitte gehen Sie sachlich auf den Artikel ein, anstatt die Verfasserin oder die Betreiber zu beleidigen. Kritik ist willkommen, aber nicht auf diese Art.
D.Red.
Der erste Teil, Frau Schuricht, ist sehr gut. Er erinnert mich an Emanuelle Levinas` religionsphisophisches Lebensthema vom „Anderen“. Der Andere ist der MENSCH neben mir. Das ist ein Muslim, das ist ein Judeusw. und es kann ein völlig Anderer sein. Nämlich ein total anders Denkender als mir das gefällt. Dazu gehören auch die Religionskritiker, auch die Kritiker der Religion es Islam, verkürzt und diffamierend als „Islamophobe“ bezeichnet. Als hätten islamwissenschaftler, wie Tilmann Nagel, Hartmut Krauss und viele andere nicht zurecht den Islam als politisch determiniert dargestetlt. Erschüttert bin ich von dem Werk Boualem Sansals (Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels) „Das Dorf des Deutschen“, und „Postlagernd Algier“, in denen er die Unlösbarkeit des islamischen Problems explizit darlegt. Ein Kapitel heißt in „Postlagernd Algier“: das Problem ist der Islam Und das ist in der ganzen Welt so. Meine Brüder sind die Muslime, sie sind für mich der oder die ANDERE.
Mit Gruß maria Leuschner, die Ihren Artikel erst jetzt entdeckte
„Maria statt Scharia“? Netter Versuch. Es ist auch immer süß, wie Nicht- oder Antimuslime der Welt erklären wollen, dass sie den Islam besser kennen würden als die Muslime selbst. Und in der Tat ist der Ausdruck „Islamophobie“ irreführend. Diese Leute haben in Wahrheit gar keine Angst – zumal es völlig irrational wäre, gegen etwas, wovor man Angst hat, mit aggressiver Untergriffigkeit vorzugehen. Es würde ja auch keiner, der vor einem doppelt so großen Rocker, der neben einem an der Bushaltestelle stellt, Angst hat, beginnen, lautstark über diesen zu schimpfen. „Islamophobie“ ist also in Wahrheit kein Ausdruck von Angst, sondern nur von Bigotterie und der Unfähigkeit, den Anderen in seiner Andersartigkeit zu akzeptieren. Der Islamhass ist das letzte Gefecht der europäischen Totalitarismen. Und auch das werden sie verlieren. – D.Red.
Wirklich Super! Gefaellt mir! Wo ist der Like Button fuer Facebook?
Der Gefaellt mir Button wuerde sich gut im Blog machen, oder ist er mir entgangen?
@gerdEric: ich musste bei Ihrem Comment echt schmunzeln .
Warum sich Deutsche doch so fremd sind? Mag der Niedersachse näher dem Angelsachsen, der Rheinländer dem Franzos oder Belgier, der Lausitzer dem Polen, der Baier doch dem Tschechen sein, ist die Sprache doch untereinander fremd genug, als dass man sich Eins fühlt in Einem Lande. Vorbild für Europa wäre es mir gern, doch auch da im „Kleinen“, mag der Starke dem Schwachen nicht teilen, von seinem Gut.
Mit dem Auftreten des Jetztmenschen begann die lange Liste der Ausrottungen der verschiedensten Tiere, Mammut, Wollnashorn, … auch den Wolf hat es in weiten Teilen der Welt erwischt, und viele Tiere stehen davor. Weder Wolf noch Neandertaler haben andere ausgerottet, der Jetztmensch ist grad im begriff, sich gegenseitig zu be-seitigen, obwohl es mehr Menschen gibt, als es je Menschen auf der Welt gab.
Wäre der Wolf sich Mensch, kein Mensch hätte je einen Wolf gesehn oder wüsste, es hätte ihn gegeben.
Ich glaube, Adam und Eva waren die ersten und letzten Menschen, und dazwischen? Ein Wimpernschlag.
Vielen Dank für diesen aufschlussreichen Artikel. Die Ursache für den Übel wurde richtig benannt: man ist Feind dessen, was man nicht kennt.
Sie schreiben: „Das Klima wird rauher, aber in keinem Land trägt der Haß ähnlich grausame Blüten wie in Deutschland“.
Dieser Satz ist der Zutreffendste, den ich in den letzten 12 Monaten gehört oder gelesen habe. Vielen Dank für ihren Beitrag.
Das Frau Schuricht sich auf von Treitschke („Die Juden sind unser Unglück“) bezieht ist erhellend und zeigt die Verortung der Autorin.
Interessant, dass im Schlussatz die islamischen Gemeinden erwähnt werden, die die Gefahr erkannt haben sollen und die Verbindung mit dem Tag der offenen Türen. Vielen Dank für den Hinweis, ja hoffentlich besuchen immer mehr Menschen am Tag der Wiedervereinigung, denn jedes Jahr findet sie am 3. Oktober statt, den Tag der offenen Tür in den Moscheen.
Dieser Satz gefällt mir am meisten :“ Der Fremde bleibt so lange ein Fremder, bis er zum Bekannten wird, bis die Bedrohung dem Verständnis weicht und die Erkenntnis,..“ könnte es glatt auf Ruprecht Polenz Pinnwand kopieren 🙂 (leider geht es nicht mehr)
Sehr gut geschrieben, gefällt mir doppelt gut :-).