Es waren zwar nur Kommunalwahlen. Diese hatten es aber in sich. Die regierende Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP) des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan hat wieder einmal eine Schicksalswahl für sich entscheiden können. Dies war übrigens seit 2002 der achte Wahlsieg der AKP hintereinander. Das vorläufige Wahlergebnis sieht die AKP mit knapp 46 Prozent(2009: 38 Prozent) an erster Stelle. Weit abgeschlagen liegt die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) mit etwa 28 Prozent(2009: 23 Prozent)an zweiter Stelle. Die Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), die vielerorts, unter anderem in der Hauptstadt Ankara, mit der sozialdemokratischen CHP kooperiert hat, kam auf lediglich 15 Prozent(2009: 16 Prozent). Das Bündnis zwischen der kurdisch dominierten Partei der Demokratie und des Friedens (BDP) sowie derDemokratischen Partei der Völker (HDP) kam– wie auch schon vor fünf Jahren – auf fast sechs Prozent.
Medien haben wieder einmal ein einseitiges Bild vermittelt
Genau wie bei den Gezi-Protesten des letzten Jahres haben unsere Medien auch dieses Mal Schwierigkeiten gehabt, neutral zu berichten. Sowohl öffentlich-rechtliche wie auchprivate Medien haben sich, ähnlich wie bei der Berichterstattung über die Ukraine und die Krim-Krise, auf ein holzschnittartiges „Gut-Böse-Schema“ fokussiert. Erdoğan wurde stets als der böse, autoritäre Machthaber dargestellt. Ihm gegenüber wurde mit dem İstanbuler Bürgermeisterkandidat Mustafa Sarıgül (CHP) ein Kontrahent präsentiert, den man in allem Mainstreammedien tatkräftig unterstützen konnte.
Ein Interview folgte dem nächsten. Fernsehteams aus Deutschland begleiteten den Politiker, dessen Name schon vor Jahren mit Korruptionsvorwürfen in Verbindung gebracht worden war und der deswegen aus der CHP ausgeschlossen wurde, jedoch eine zweite Chance erhielt, weil es keine Alternative in den Reihen der Opposition gab. Unsere Medien spielten dieses Spiel aber nicht allein. Die großen internationalen Medien und deren Finanziers, allen voran aus den USA, England, Frankreich und vielen weiteren Staaten, hatten in Sarıgül eine Führungsfigur gefunden, der nach ihrer Meinung in der Lage wäre, mit Erdoğan zu konkurrieren. Auf der anderen Seite wurden schon seit Wochen Umfrageergebnisse präsentiert, welche die AKP weit abgeschlagen sahen, und gerade deshalb in unseren Medien Gehör fanden und bereitwillig zitiert wurden. Wahltrends anderer Meinungsforschungsinstitute, wie z.B. von ORC oder ANAR, die das Ergebnis am Ende nur um Nuancen verfehlten, wurden gar nicht erst in den Fokus genommen. Oder wollte man diese den Menschen gar bewusst vorenthalten? Hoffentlich nicht.
Trotz internationaler Kritik ein grandioser Sieg nach bayerischen Verhältnissen
Vor der Wahl wurden auch noch eine Reihe illegal mitgeschnittener Abhörprotokolle und geheime Gespräche auf sozialen Netzwerken im Internet veröffentlicht. Diese konnten Premier Erdoğan, schaut man sich die Wahlergebnisse an, jedoch nicht schaden. Die internationale Kritik am Ministerpräsidenten, die vor allem seit dem letztem Sommer mit den Gezi-Park-Protesten immer mehr aufgeflammt war, wurde in den letzten Wochen wieder reaktiviert und fortgesetzt. Viele Staats- und Regierungschefs sowie deren Sprecher sehen in der Meinungsfreiheit, dem Rechtsstaat sowie der Unabhängigkeit der Justiz wichtige Baustellen. Die türkischen Wähler zeigten sich jedoch von den doppelzüngigen Moral- und Demokratiebelehrungen unbeeindruckt. Die Partei des Premierministers konnte ihren Stimmenanteil im Gegensatz zu den letzten Kommunalwahlen um mehr als acht Prozent steigern. Das waren wahlpolitisch gesehen fast bayerische Verhältnisse.
Das türkische Volk sendet ein Signal ins In- und Ausland
Ebenso wenig schenkte das Wahlvolk den angeblichen Korruptionsvorwürfen und Machtmissbrauchsbeschuldigungen Gehör. Im Gegenteil: Die Türken gingen zur Wahl und zeigten mit ihren Stimmen allen Kritikern, sowohl im In- als auch im Ausland, die Gelbe Karte. Ob sie ihre Rote Karte bei den kommenden Präsidentschaftswahlen im August oder bei den Parlamentswahlen im Juni nächsten Jahres auch zücken werden, bleibt abzuwarten. Das wichtigste Ergebnis dieser Wahl ist, dass das türkische Volk sich die Einmischung ausländischer Staaten, Lobbys und deren Akteure in die inneren Angelegenheiten des Landesverbittet. Die Wahlergebnisse sind damit auch ein Signal ins In- und Ausland. Die Türkei, so scheint es, streitet darum, ein eigenständiger Spieler an der Drehscheibe zwischen Europa, Nordafrika und Asien zu werden. Kein Staat möchte die Türkei als Partner verlieren. Schon gar nicht die EU. Auf der anderen Seite möchte die Türkei aber auch ihren gerechten Anteil am Kuchen und nicht nur die Krümel, wie bisher. Das Land ist im Wandel. Es bleibt spannend um das Land am Bosporus.
3 Kommentare
Sie machen Herrn Erdogan alle Ehre, Herr Bas….
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Vielen Dank für Ihren Artikel. Ich stimme Ihnen zu, dass die deutsche Medienlandschaft das Thema leider nur einseitig beleuchtet. Ich stimme Ihnen auch darin zu, dass Herr Sarigül kein unbeschriebenes Blatt ist. Aber ich stimme Ihnen darin nicht zu, dass die Vorwürfe gegen die AKP reine Erfindungen von ausländischen Staaten oder Lobbys sind. Herr Erdogan wollte, dass das Volk genau so denkt und offensichtlich hat er es auch (bei Ihnen?) geschafft. Statt sich auf nicht haltbare Verschwörungstheorien zu stürzen sollte er die Vorwürfe im Sinne einer funktionierenden Demokratie und eines Rechtsstaates widerlegen.
Ich verstehe auch nicht, wie Sie von einer gelben Karte sprechen können, wo doch der Wahlerfolg grösser ist als noch 2009. Übrigens: zur Zeit geistern bei Twitter Fotos herum, die einen Wahlbetrug belegen sollen und in zwei Städten wurde nach erneuter Auszählung die CHP als Sieger identifiziert. Zumindest darauf sollten Sie in Ihrem Artikel auch eingehen.
Es tut mir leid aber ich verstehe einfach nicht, wie eine Partei, gegen die derart schwere Anschuldigungen vorliegen, sich mit banalen Argumenten rausredet, statt der Sache auf den Grund zu gehen und sich reinzuwaschen. Sie hatten dafür über DREI Monate Zeit. Es ist mir egal, ob diese Anschuldigungen dabei aus dem Ausland oder Inland erhoben werden, solange sie belegt werden können und keine belastbaren Gegenbelege vorliegen.