Nach Erdoğans Sieg: Fragen sind erlaubt

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Erdoğan hat die Kommunalwahlen gewonnen und damit auch ein klares Votum für die Fortführung seiner Regierung in Ankara bekommen. Muss man als Deutscher diesen Mann nicht einfach ebenso lieben, wie es das Millionenheer von freundlichen und liebenswürdigen Türken tut, das ihn mit heißen Herzen verehrt? Selbst wenn man diese Liebe nicht teilt – kann man ihren Grund  nicht zumindest nachvollziehen? Darf man sie verurteilen?

Ich meine: Man muss die Wahl der Türken verstehen und den darin enthaltenen Wunsch nach wirtschaftlichem Erfolg und Wachstum. Erst dann darf man mit seinen Fragen kommen. Ich bezeuge Erdoğan also meinen Respekt und mit ihm auch mein Verständnis für die enthusiastische Liebe vieler seiner Landsleute.

Vielleicht respektieren seine Wähler nun umgekehrt auch meine Fragen. Es sind deutsche Fragen. Sielassen sich an den ersten drei Worten unserer Nationalhymne festmachen, Einigkeit und Recht und Freiheit.

Einigkeit

Was wird Erdoğan tun, um die unselige Spaltung seines Landes zu heilen? Er hat in seiner Rede für die deutschen Türken nach den Gezi-Demonstrationen in bewegenden Worten das alte Bild von „denen“ gezeichnet, die „uns“ jahrzehntelang die Frömmigkeit und eine eigene Kultur an Sitten und Gebräuchen verboten haben. Zu Fremden im eigenen Land haben sie uns gemacht, hat er gesagt. Nie wieder dürfen sie an die Macht kommen! Nun ist die größte Oppositionspartei allerdings deutlich auf den frommen Kurs der „Schwarztürken“ eingeschwenkt und liegt etwa im Kopftuchstreit auf AKP-Linie. Da kommt es Erdoğan offenbar entgegen, mit der Hizmet-Bewegung seines früheren Verbündeten Fethullah Gülen erneut jemanden zu haben, an dem er alle Verschwörungstheorien festmachen kann, die ein durchschnittlicher Türke offenbar so sehr braucht wie die Pflanzen das Licht. Möglicherweise hilft ihm das noch eine Weile, Wahlen zu gewinnen. Aber den internationalen Investoren wird der Gedanke nicht gefallen, dass in den türkischen Firmen Leute nebeneinander sitzen, die in tiefem Hass miteinander verbunden sind und die sich gegenseitig für Verschwörer halten.

Recht

Was wird Erdoğan tun, um die gegen ihn und seine Vertrauten erhobenen Korruptionsvorwürfe zu klären? Sie sind nicht erst seit den Verhaftungen vom 17. Dezember 2013 im Umlauf, ich habe schon früher bei Besuchen in der Türkei von den Millionen und Milliarden gehört, die Erdoğan beiseite geschafft haben soll. Für mich besteht die größte Gefahr darin, dass die Türken jetzt resignieren und sagen, dass letztlich alle Politiker korrupt sind, und dass in der Türkei die Mehrheit keinen Finger für die Durchsetzung gerechter Verhältnisse rühren wird. Eine solche im Grund kleinherzige Mentalität wird genau wie die Uneinigkeit den anderen „Global Playern“ nicht gefallen, die gerne Platz in ihren Reihen machen würden, um die Türkei als modernen „Tigerstaat“ und Wirtschaftsmotor zu begrüßen. Vielleicht wird den Chinesen und den Russen der etwas fatalistische Pessimismus in Bezug auf korrupte Obere nichts ausmachen, aber den Deutschen wird er sauer aufstoßen, und die sind nach wie vor das Heimatland vieler türkischer Träume. Einen Unrechtsstaat, der sich lediglich über den wirtschaftlichen Erfolg legitimiert, haben wir Deutschen selbst gehabt. Wir wissen, was an seinem Ende steht.

Freiheit

Wird Erdoğan die Macht seines Staatsapparates mit voller Wucht gegen die Leute einsetzen, die ihm unliebsam sind? Ein deutscher Türke aus der Hizmet-Bewegung sagte mir, er fürchte, dass man ihm bei seinem nächsten Türkei-Besuch Rauschgift unterschmuggelt und ihn verhaften lässt. Schon heute ist die Türkei das Land mit den meisten inhaftierten Journalisten. Werden die europäischen Touristen weiter an die sonnigen Strände der Ägäis fliegen, wenn sie wissen, dass nicht weit von ihnen die Gefängnisse mit angeblichen Verschwörern gefüllt sind? Man wird es bald sehen. Ich habe mir jedenfalls vorgenommen, die Türkei als Reiseland erst einmal zu meiden.

Ich bin in diesen Tagen stolz, Einigkeit und Recht und Freiheit als Grundgedanken meines Staates ansehen zu können. Ich wünschte mir, meine deutschen Türken würden es lernen, die Hymne mit mir zu singen. Vielleicht zeigen sie damit ihren Verwandten in der Türkei, wie man ein Land nicht hinter einen großen Mann schart, sondern hinter einer großen Idee.

 

Kommentare

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Christian Runkel, Jahrgang 1949, lebt und arbeitet als selbständiger Wohnungsverwalter in Remscheid. Er ist verheiratet, hat fünf Kinder und ein Enkelkind und ist aktives Mitglied einer evangelischen Freikirche. Nach einem Bankpraktikum 1971 in Istanbul hat er lebenslang den Kontakt zu Türken in seiner Nähe gesucht und beteiligt sich lebhaft am Austausch zwischen Christen und Muslimen. Seine neuesten Erlebnisse auf einer Wanderung durch Palästina hat er in einem Tagebuch beschrieben, das vor wenigen Tagen bei Amazon erschienen ist.

Ein Kommentar

  1. Mehmet Pektas on

    Sehr geehrter Herr Runkel,

    Erst einmal vielen Dank für die Gratulation für die gewonnenen Wahlen in der Türkei. Dies sind allerdings Wahlen gewesen, wo die Türkei Ihre zukünftigen lokalen Führer gewählt hat. Auch wenn die Partei Erdogans nicht so stark gewesen wäre wie soeben, muss man bedenken, dass sich an den Sitzen im Parlament nichts geändert hat. Dies ist letztenendes eines der wichtigsten Mittel, um mit der eigenen Regierung.

    Darüber hinaus haben Sie die Schlagwörter „Einigkeit“, „Recht“ und „Freiheit“ in den Raum geworfen. Dies sind natürlich schön klingende und auch tatsächlich schöne Worte. Unter diesen Worten haben Sie größtenteils Kritik an der Erdogan Führung ausgeübt, wie es allerdings die Medienlandschaft unter der Hand des Axel-Springer-Verlags und weitreichend bis zu den globalen Finanzbossen in Form einer schönen Anti-Propaganda aktuell weiter verbreiten. Dann darf ich Ihnen auch einmal FAKTEN zu den 3 Schlagwörtern erwähnen (= nicht „das habe ich allerdings auch in der Türkei desöfteren GEHÖRT“ 😉 ) :

    EINIGKEIT:
    Die Türkei war seit Jahrzehnten mit dem Terrorismus seitens der PKK beschäftigt. Eine falsche Staatspolitik und in Armut quälende, ungebildete kurdischstämmige Menschen wurden mit Jahrzehntelanger Propaganda gegen den Staat und die eigenen Landsleute gehetzt. Aufgrund einer aktiven und erfolgreichen Wirtschaftspolitik hat Erdogan den vernachlässigten Ostan aufgebaut und versucht, finanzielle und bildungstechnische Abhilfe zu verschaffen. Nach dieser Aktion wurde eine offizielle Staatspolitik „VERSÖHNUNG“ eingeführt, womit aktuell seit ca. 1 Jahr ein Waffenstillstand zwischen den „Brüdern und Schwestern“ besteht. Wenn die äußeren Mächte sich nicht provokativ weiter einmischen werden und diese Versöhnung Erfolg erbringt, wird dies die größte EINIGKEIT sein, die Erdogan herbeigeführt haben wird…

    RECHT:
    Wie Ihnen sicherlich nicht entgangen ist, hat Erdogan ebenso mit massenhaften Grundgesetz- und Rechtserneuerungen sehr viel „Recht“ in das Rechtssystem des türkischen Staates herbeigeführt. Allerdings so viel Recht, dass sich aktuell eine Parallelorganisation in den Staat eingeschleust hat und so weit gegangen ist, dass sogar Güterzüge des Geheimdienstes auf den Weg nach Syrien durch die Gendarmerie gestoppt wurden, obwohl man entsprechende Beweise vorgelegt hat und sich ebenfalls Agenten auf den Zügen befunden haben… Dies dürfte Ihnen nicht entgangen sein und dies kann man nicht einfach so als „Verschwörungstheorie“ hinnehmen, denn die Beweise und Belege liegen auf der Hand. Diese Organsation hat sich in das Rechtssystem, in die Polizei- und Streitkräfteeinheit bis hin zu gewissen strategischen Institutionen eingeschleust. Erdogan muss erst einmal zusehen, dass die parteiischen Richter, Polizisten, Soldaten/Offiziere/Generäle, Staatsanwälte etc. dieser Organisation bereinigt werden, bevor sämtlicher Bürger in der Türkei sein RECHT erholen kann… Warum erwähnen Sie eigentlich nicht, wie diese (verschwörte) Parallelorganisation anhand von illegal abgehörten und zusammengeschnittenen Tapes versucht, eine demokratisch gewählte Regierung zu stürzen, in dem man diese Tapes anhand des Internet versucht zu verbreiten? Vielleicht passt dies doch nicht Ihren politischen Anschauungen, die sich nicht gesonders neutral klingen lassen…
    Bezüglich der lächerlichen Korruptionsvorwürfe bin ich über Ihre Aussage recht enttäuscht. Sie als Autor müssten wissen, dass ein Bundeskanzler jährlich sein ganzes Vermögen offiziell auflisten muss und dass Geldbeträge in Höhe von Millionen oder Milliarden EUR/Dollar/TL nicht in das eigene Haus / in die eigene Villa passen. Hier möchte ich Sie ebenfalls daran erinnern, dass jegliche „nützliche“ Politiker in der Türkei, die in dem Land tatsächlich etwas bewegt haben, genau mit den gleichen Vorwürfen beschuldigt wurden. Diese Politiker sind auch etwas seltsam „umgekommen“. Zu der Angstmache bezüglich der Investoren, lassen Sie mich da sagen, dass dem Kapitalismus Recht ganz egal ist. Hauptsache er kann sein Profit machen bzw. steigern und da sind ihm Länder ganz egal. Wenn das Recht für den Investoren so wichtig wäre, würde nicht jedes zweite Unternehmen auf der Welt in China produzieren 😉

    FREIHEIT:
    Es ist ebenso diese Regierung, die sich Ihren Bürgern und Minderheiten offenbart hat. Z.B. dürfen nun Frauen auf Uni’s und in staatlichen Institutionen Kopftuch tragen, der Alevite bekommt mehr „Cem-Häuser“, die Führer der Aleviten werden mittlerweile staatlich bezahlt, um diese Kultur aufrecht zu erhalten, der Kurde darf im Osten frei kurdisch sprechen usw. Darüber hinaus sind edliche EU-Reformen innerhalb der 12 Jahre ins Leben gerufen worden.
    Die inhaftierten „Journalisten“ sind nicht im Gefängnis wegen Ihrer Meinung oder Ihrem Job halber. Bitte desinformieren Sie die Öffentlichkeit nicht so derbe und forschen Sie vorher nach, was denen anhand welcher Beweismittel vorgeworfen wird.
    Fragen Sie doch einmal Ihrem Freund (Angehöriger der Hizmet-Bewegung), warum er Angst habe? Warum solle man ausgerechnet Ihm Rauschgift schmuggeln und verhaften wollen? Das Thema um die Hizmet-Bewegung ist sehr sensibel und sollte nicht under dem Punkt Freiheit oder wie eine „Hexenjagd“ aufgenommen werden. Der Ministerpräsident hat in seinen Reden ganz klar darauf aufmerksam gemacht, dass diejenigen erfortscht und verhaftet werden, die gegen Ihr Land gearbeitet und Landesinteressen verletzt bzw. Gesetze nicht eingehalten haben. Bitte schauen Sie sich einmal den Bericht des Landes Baden-Württemberg an das Innenministerium an, wie dort diese Bewegung lanciert wird. Dann sprechen wir weiter, wenn Sie verstanden haben, in was für einer Gefahr sich die Türkei aktuell befindet (PS: Abhörskandal des Außenministeriums, zwecks des Brainstormings, wie man gegen einen Syrienangriff auf das türkische Boden in Syrien vorgehen wird).

    Die Türkei ist das Reiselandziel Nr. 1 in Europa und insbesonders die deutschen Turisten sind auf Platz eins unserer Gäster. Die türkische Regierung macht aktuell einen Umsatz von ca. 30 Milliarden Dollar durch Tourismus, also eine große Staatseinnahmequelle, die auch viele Arbeitsplätze in der Türkei schafft. Unter dem Aspekt finde ich es sehr bemerkenswert, wie Sie anhand Ihres Kommentars versuchen, die Touristen von dem Land abzuschrecken(!)… Aber auch hier kann ich nur sagen, dass eine solche Hetzkampagne auch in der Vergangenheit nie Ihre „Fans“ gewonnen hat.

    Eins haben Sie richtig erfasst. Die Mehrheit der Türken haben sich hinter einem mächtigen und großen Führer versammelt, nicht wegen seiner Macht. ES IST DER „TÜRKISCHE TRAUM“ AN FÜR SICH, DIE GROßE IDEE, um aus der jetzigen Türkei „Die große Türkei“ zu machen… Vielleicht ist es ja genau das, weshalb man mit Anti-Propaganda versucht, diesen Mann von dem Posten zu verdrängen, damit man die Türkei wieder in Ihre ca. 780.000 km2 verdrängt und dafür sorgt, dass man sich mit den inneren „Streitigkeiten“ auspowert und sich nicht um globale Weltinteressen kümmert? 😉

    Der Türke ist nicht dumm Herr Runkel. Der Türke ist mittlerweile so schlau geworden, dass er nicht mehr zuguckt, wie das Heer seinen demokratisch gewählten Kanzler nach einem Militärputsch erhängt. Der Türke hat aus seinen Fehlern und aus den Intrigen in der Vergangenheit gelernt und hält nun an einem Mann sehr fest, der mit seinen innovativen und fortreichenden Ideen die Zukunft dieses mächtigen Volkes strickt. Und diese Bürger möchten ein Teil dieser Mission sein und stellen sich voll und ganz auf die Seite seines FREI UND DEMOKRATISCH GEWÄHLTEN PREMIERS RECEP TAYYIP ERDOGAN…

    Sie als Europäer bitten wir demnach, dies zu respektieren und dem Land seinen eigenen Lauf zu lassen… Aber sowohl aus der Vergangenheit als auch aus der Gegenwart weiß ich, wie so viele mächtige Menschen gesagt haben, dass die Türkei kein Land ist, was man in Ruhe lassen kann… Denn wenn man dieses Volk einmal aufrappeln lässt, dann ist das Ende immer ein weitreichendes starkes Imperium gewesen.

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