Fünfzehn Jahre danach: Gedanken zum 11. September

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„Großer Gott, steh‘ uns bei!“ titelte BILD nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 und die Botschaft war klar: jemand hatte der westlichen Welt einen Krieg erklärt, den es nun um jeden Preis zu gewinnen galt. Die Vereinigten Staaten – und damit der Westen – waren getroffen bis ins Mark, zutiefst verletzt über das Maß des Verletzbaren hinaus. Die verletzte Seele braucht Trost und nun jährt sich der Tag der Anschläge – zum zehnten Mal.

George W. Bush, der Dreiundvierzigste, reagierte prompt und rief auf zum Kampf gegen den Terror, der zu einem Kreuzzug mutierte, dessen Weg über Guantanamo Bay und Abu Graib bis Kunduz führte. Gerhard Schröder hatte dem großen Bruder „bedingungslose Solidarität“ versichert. Weit über 250.000 Menschenleben sind die bisherige Kriegsbeute. Der Kampf gegen den Terror ist zu einem Rachefeldzug verkommen.

11. September war nicht das erste mal

Das Attentat von 2001 war nicht der erste Anschlag auf das Welthandelszentrum. Bereits 1993 sollten die Türme fallen und es war einem glücklichen Zufall geschuldet, daß dieses Bombenattentat nur sechs Todesopfer forderte. Der Bombenleger hatte zu wenig Sprengstoff verwendet. Achteinhalb Jahre später verloren beinahe 3000 Menschen ihr Leben.

Um zu verstehen, was genau an jenem sonnigen Spätsommertag geschah, ist es notwendig, den Blick zurückzurichten – zurück in die Zeit des Kalten Krieges: im Dezember 1979 marschierten sowjetische Truppen in Afghanistan ein, um auf der Seite der kommunistischen Machthaber in den afghanischen Bürgerkrieg einzugreifen. Bereits 1978 hatte der damalige Präsident Afghanistans, Taraki, die östliche Supermacht um militärische Unterstützung gebeten, die die Sowjetunion allerdings zunächst abgelehnt hatte, um einen tiefgreifenden Konflikt mit den USA zu vermeiden.

Die Mudschaheddin wurden durch die CIA unterstützt

Der 40. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Ronald Reagan (1911-2004), der die Sowjetunion lange als „das Reich des Bösen“ ausgemacht hatte, unterstützte den Widerstand, der sich in Afghanistan selbst in erster Linie gegen die Säkularisierung des Landes richtete, in Reagans Augen aber ein Freiheitskampf gegen den gottlosen Todfeind Kommunismus war. Die Mudschaheddin, die heiligen Kämpfer, erhielten Waffen und Ausbildung durch die CIA. Im Kalten Krieg war jedes Mittel recht und es spielte eine untergeordnete Rolle, wer und warum finanzielle und waffentechnologische Unterstützung erhielt, solange der Feind des Feindes als eigener Freund galt – auf beiden Seiten.

Kapitalismus und Kommunismus standen sich unnachgiebig gegenüber: beide Systeme korrupt und allein auf Machterhalt und Ressourcenausbeutung ausgerichtet. Weder Menschenleben noch Moral spielten eine Rolle. Die Welt war aufgeteilt zwischen den militärisch-wirtschaftlichen Blöcken und die Potentaten der Drittländer je nach Belieben Spielball der Machtinteressen. Der Sommer des Jahres 1989 läutete das Ende des Kalten Krieges ein und damit den Beginn einer Ära des Unbestimmbaren: wer war nun Feind, wer taugte zum Freund?

Im Focus der Supermächte hatten seit jeher die Potentaten der erdölexportierenden Länder gestanden. Ohne Rücksicht auf Verluste und ohne Blick für die Situation der Bevölkerung wurden die jeweiligen Machthaber unterstützt, solange die Versorgung mit dem wichtigsten Rohstoff der Weltwirtschaft gesichert war.

Es ist ein offenes Geheimnis der Weltgeschichte, daß fortwährende Demütigung zu Revolte führt, daß eine Ausbeutung der Massen durch wenige Profiteure nur temporär Bestand haben kann. Der erste, der das zu spüren bekam, war Mohammed Reza Pahlewi, der Schah von Persien, das nach der Revolution von 1979 zum ersten islamischen Gottesstaat außerhalb des bipolaren Machtgefüges wurde. Ähnliches gelang den Taliban 1996 in Afghanistan. Beide Regimes beriefen sich auf religiöse Berechtigung, bedeuteten aber nichts als den Rückfall in archaisch-patriarchale Strukturen, in denen die Unwissenheit und Not der Bevölkerung benutzt werden, um eigene Machtinteressen durchzusetzen und mit dem vermeintlichen Wort Gottes zu legitimieren.

Al Qaida war ein Gewaltinstrument

Osama bin Laden schuf mit Al Qaida ein Gewaltinstrument, das jederzeit und an jedem Ort zu einem Schlag gegen den verhaßten Feind, den Ungläubigen, auszuholen bereit scheint. Die Stationierung von US-Truppen während des Golfkrieges in Saudi Arabien, die gegen Muslime kämpften, soll ihn dazu bewogen haben. Von ihren Kämpfern fordert Al Qaida bedingungslosen Gehorsam – bis in den Märtyrertod für Glauben und Allah. Nichts davon steht im Koran.

Was also unterscheidet Osama bin Laden von Jim Jones, der 1978 über 900 Anhänger seiner christlich-fundamentalistischen Sekte vom Leben in den Tod vergiften ließ oder von David Koresh, der 1993 82 seiner Gefolgsleute bis zur letzten Kugel gegen die ungläubigen „Eindringlinge“ vom FBI kämpfen und sterben ließ? Nichts davon steht in der Bibel.

Religion ist lediglich der Deckmantel. Es geht um verletzte Gefühle. Es geht um die verletzen Gefühle derer, die über Jahrhunderte Opfer von Ausbeutung und Machterweiterung waren und deren Zwangsgemeinschaft sich auf einen gemeinsamen Nenner berufen kann: den Islam. Und so war es in vielen Augenpaaren der westlichen Welt der Islam, der sich an jenem Spätsommertag zum Kampf gegen das Christentum erhob. Vergessen die Geschichte der Ausbeutung, vergessen die Blutspur, die auch der Weg des Christentums im Namen der Zivilisation hinterließ.

Religion kennt keinen Terror und dennoch stehen über 1,5 Milliarden Menschen islamischen Glaubens unter Generalverdacht. Die verletzte Seele braucht Trost und nun jährt sich der Tag der Anschläge – zum fünfzehnten Mal. Ein Anlaß vielleicht, um Verzeihung zu bitten und sich des zweiten Gebotes zu erinnern: Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst. Religion kennt keinen Terror.

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M.A., Germanistin und Politologin, lebt und arbeitet als Dozentin und freie Autorin in Hannover. Sie ist Mitglied in verschiedenen Friedensinitiativen und engagiert sich seit über 25 Jahren gegen neonationalsozialistische und nationalkonservative Strömungen in der Gesellschaft und für ein friedvolles und ausgeglichenes Miteinander aller Kulturen und Religionen.

8 Kommentare

  1. fein, Frau Schuricht, wie Sie das alles durcheinanderbringen, hier Hannah Arendt mit „Verzeihen statt Rache“ rein zu montieren, klingt erst mal fast christlich nett, könnte glatt von der EKD sein, passt jedoch nicht zu Ihrer eigenen Haltung. Siehe Ihre Antwort „Maria statt Scharia“ auf eine Zuschrift von mir. Aber ich bin über Ihre Verletzungen nun informiert. Und da liegt Ihr Schicksal offen ausgebreitet: Während Jennifer Pyka, eine renommierte Publizistin, im „The European“ schreibt und Sie leider woanders nicht mal ansatzweise wahrgenommen werden, reicht es eben nur für klägliche Blätter, wie Ihr jämmerlicher Integrationsblog.
    Nina

    Die gute Jennifer Nathalie Pyka kann leider nichts für ihre Fans. Das zeigt sich einmal mehr wieder an Ihnen, allerwerteste Frau „Maria statt Scharia“. – D-Red.

  2. Netter Artikel. Schadet wohl nicht, sich mit der Thematik detailierter zu beschaeftigen. Ich werde sicher die weiteren Artikel lesen.

  3. komplexe Thema ist hier einfach, klar und verständlich dargelegt, liebe Christiane, vielen Dank für deine Mühe
    würde man diese Thema aufarbeiten, hätten wir sicherlich mehrere hunderte Bücher schreiben müssen…

    Die restlichen inhalte dieses Kommentars entsprechen nicht unseren Kriterien, daher wurden sie zensiert… Die Integrationsblogger

  4. Christiane Schuricht on

    Markus, offenbar haben Sie meinen Text nicht verstanden. Die Anschläge vom 11. September waren in keiner Weise religiös motiviert. Religion, respektive die Religiosität von Menschen in Sinnkrisen, wurde – wie auch von Koresh und Jones mißbraucht. Ich ziehe nicht in Zweifel, daß die Attentäter tatsächliche „Überzeugungstäter“ waren. Allerdings ist nicht die vermeintliche Überlegenheit des Islam oder der – ebenso vermeintliche – Haß auf das Christentum die Ursache, sondern die Hilflosigkeit und Wut im Angesicht der Arroganz der Macht der „westlichen Welt“. Religiöse oder ideologische Radikalisierung (und geht allein um die analoge Struktur) findet immer dann und dort statt, wo Menschen gedemütigt werden. Goldhagen ist im Übrigen kein Kriterium. Ich beziehe mich auf Arendt, die ja von Goldhagen ausgiebig mißbraucht wurde. Hannah Arendt setzt Verzeihen als Alternative zu Rache (die sie als „natürlich-automatische Reaktion gegen Verfehlungen jeder Art“ VA, 235ff. ansieht. Ihr (Markus‘) Denkfehler („.Das muss nicht jeder Moslem umsetzen und zum Glück gibt es viele vernünftige Moslems, die das nicht leben. Aber es gibt eben leider auch die Moslems, die genau das mit Gewalt und Rücksichtslosigkeit ausleben…“)liegt darin, daß Sie Menschen kategorisieren – und das außerhalb jedweden historischen Kontextes. Wie bibelfest sind Sie und wie vertraut sind Sie mit der Auslegung durch George W. Bush, der seinen „Feldzug“ mit immer neuen Textstellen der verschiedenen Evangelien zu rechtfertigen versuchte? Noch einmal: es handelt sich NICHT um einen hegemonialen Kampf zweier abrahamitischer Religionen, sondern um eine Erhebung der Ausgebeuteten und Unterdrückten. Religion ist lediglich ein Vorwand und dient zu nichts anderem als zur Begründung (und Rechtfertigung) einer gemeinsamen Identität. Blauäugig, das NICHT zu erkennen. Im Übrigen hätte ich gern „weiter ausgeholt“, unterlag jedoch einer recht rigiden Zeichenbeschränkung. Somit mußte ich manche Fakten schlechterdings als bekannt voraussetzen.

  5. Die stellen, die sie im Koran meinen beziehen sich nicht auf die Methoden von Al-Quaida. Aus dem Kontext könnte man die stellen im Koran vergleichen mit dem vorgehen des damals osmanischen Reiches um 1915, in dem das Volk aufgerufen wurde ihr Land zu verteidigen. Genau an diesem Kontext ist der Schnittpunkt im Koran, in dem der Muslim, der sein Land verteidigt um Allahs willen und dabei stirbt, den Märtyrertod stirbt. Genau das gleiche gilt auch beim Kampf gegen die PKK. Also bringen wir bitte die Kontexte nicht durcheinander. Wenn Sie es ausführlicher möchten, kann ich Ihnen gerne ausführlicher Anworten in dem ich die Stellen im Koran angebe und sie im Kontext erkläre…

  6. Wissen Sie, Frau Schuricht, wer die 1,5 Milliarden Menschen am meisten diskriminiert?
    Das ist nicht der Westen, sondern es sind die eigenen Leute. Schauen Sie nach Afghanistan, Pakistan oder Indonesien, in den Sudan oder nach Äthiopien. Die Unterdrückung, Ermordung und Folterung der dort lebenden Moslems (und im Übrigen auch Christen) geschieht dort durch … andere Moslems.
    Insofern von den „Christen“ – wer auch immer das genau sein soll – eine Entschuldigung einzufordern und die o.g. Fakten außer Acht zu lassen, ist blauäugig und einseitig.

    Liebe heißt nicht Unterwerfung, Liebe zieht auch Grenzen und sagt: „Das geht so nicht.“
    Lesen Sie doch einmal das Interview mit dem Historiker Goldhagen (http://j.mp/nmlyUY)

    Man sollte schon differenzieren. Man kann weder alle Moslems unter Generalverdacht stellen noch alle Moslems damit entschulden, dass wir „Christen“ ja auch Fehler gemacht haben. Das hilft niemandem weiter. Fakten bleiben Fakten und müssen auch genannt werden (http://j.mp/pPOyz9).

    Sie führen Osama bin Laden und Jim Jones als Beispiele an und sagen, dass für beide die Religion nur der Deckmantel war. Zustimmung. Aber ganz so einfach ist die Sache dann auch nicht. Sie schreiben: „Von ihren Kämpfern fordert Al Quaida bedingungslosen Gehorsam – bis in den Märtyrertod für Glauben und Allah. Nichts davon steht im Koran.“ und: „Religion kennt keinen Terror.“

    Nun, im Koran steht sehr wohl etwas über Dschihad, Märtyrertod und das Bekämpfen der Ungläubigen. Das muss nicht jeder Moslem umsetzen und zum Glück gibt es viele vernünftige Moslems, die das nicht leben. Aber es gibt eben leider auch die Moslems, die genau das mit Gewalt und Rücksichtslosigkeit ausleben.

    Dass Sie das aussparen und verneinen, macht Ihren Beitrag unglaubwürdig.

  7. Danke, Saliha! Und es gäbe noch so viel mehr zu sageb dazu. Und es wäre noch viel weiter zurückzugreifen – bis zur Zeit des Imperialismus oder vielleicht sogar bis zu den Kreuzzügen. Allein, was zu sagen bleibt: über 1,5 Milliarden Menschen werden diskriminiert – DAS GEHT DOCH NICHT!!!!!

  8. liebe Christiane ! Hut ab, in 814 Wörtern den Anschlag 911 zusammengefasst – und das in all seinen Facetten

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